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Alternativmedizin ist gefährlich!

Aktualisiert: 16. März


Globuli, Pflanzenextra, Bachblüten & Co.
Globuli, Pflanzenextra, Bachblüten & Co.

Short-Cut:

 

  • Alternativmedizinische Behandlungsverfahren wie die Homöopathie, die Anthroposophie oder die Bachblütentherapie haben im Gegensatz zu Arzneimitteln keine nachgewiesene pharmakologische Wirkung

  • Anhänger dieser Konzepte können sich und ihren Mitmenschen schaden, indem sie wirksame Therapien verzögern oder ausschlagen

  • Auch direkte Gesundheitsschäden in Form von Vergiftungserscheinungen oder Organschäden sind möglich

  • Die gezielte Manipulation und Verbreitung von Fehlinformationen durch Lobbyverbände, Gesundheits-Influencer und einzelne Ärzte verstärken die Medizinskepsis der Bevölkerung zusätzlich

  • Durch eine Anpassung der bestehenden Rechtsvorschriften ließen sich zahlreiche Schäden vermindern, etwa durch ein Verbot von Werbung und Erstattung für Alternativmedizin durch Krankenkassen, den Entzug des Sonderstatus im Arzneimittelrecht für spezielle Therapierichtungen wie Homöopathie, Anthroposophie und Phytotherapie sowie eine verpflichtende erweiterte medizinische Grundausbildung für alternativmedizinische Berufe

Was haben die Homöopathie, die Bach-Blüten-Therapie, die anthroposophische sowie orthomolekulare Medizin und viele naturheilkundliche Verfahren gemeinsam – mal abgesehen davon, dass manche dieser Bezeichnungen einen wahnsinnig wissenschaftlichen Anschein erwecken? à Anthroposophie? Das klingt fast wie ein raffiniert ausgeklügeltes Konzept, erdacht von klugen Köpfen in weißen Kitteln, tief verborgen in dunklen Kellergewölben. Ob ausgeklügelt oder nicht, das werde ich gleich noch genauer beleuchten. Doch ich möchte auf etwas anderes hinaus. All diese Verfahren zählen zur sogenannten Alternativmedizin oder Komplementärmedizin. Ebenso wie klassische Medikamente werden auch homöopathische Mittel zur Vorbeugung und Therapie diverser Krankheiten eingesetzt. Das ist zunächst nicht überraschend. Auf den ersten Blick könnte man annehmen, dass es sich bei jeder dieser Therapieformen um ein eigenständiges Heilverfahren mit einem eigenen therapeutischen und medizinischen Schwerpunkt handelt. Und sicherlich gibt es hier und da deutliche Unterschiede. Doch bei genauerer Betrachtung zeigen sich sowohl in der Herstellung als auch hinsichtlich möglicher Wirkmechanismen zahlreiche Ähnlichkeiten und Überschneidungen.

Am bekanntesten ist wohl die Homöopathie. Homöopathische Produkte sind in Apotheken neben klassischen Arzneimitteln in breiter Auswahl erhältlich. Homöopathen arbeiten nach dem sogenannten Ähnlichkeitsprinzip – d. h. sie gehen davon aus, dass man Krankheiten am besten mit „Ähnlichem“ bekämpft. Dieses Prinzip verdankt die Homöopathie ihrem Begründer Samuel Hahnemann.

Hahnemann entwickelte seine Theorie aufgrund eines Selbstversuchs mit Chinarinde, die gegen Malaria eingesetzt wurde. Nach der Einnahme bemerkte er bei sich Symptome wie Fieber und Schüttelfrost – ähnlich denen einer Malariaerkrankung. Daraus schloss er, dass Chinarinde in der Lage sei, Malaria zu heilen. Das Ähnlichkeitsprinzip war geboren – und mit ihm die Homöopathie. Seitdem werden alle homöopathischen Präparate nach diesem Leitgedanken hergestellt.

So soll die Arnikapflanze gegen Hämatome, Quetschungen und Prellungen helfen, zahnende Kinder durch die echte Kamille Linderung erfahren, und Augentrost gereizte Augen bei einer Bindehautentzündung beruhigen. Für praktisch jedes Beschwerdebild haben die Homöopathen ein entsprechendes Mittel parat. Charakteristisch für homöopathische Arzneimittel ist jedoch nicht nur die Wahl des Ausgangsstoffes, sondern vor allem die sogenannte „Potenzierung“.

Dabei wird der Wirkstoff in einem Gemisch aus Wasser und Ethanol (der „Urtinktur“) schrittweise verdünnt. Je nach Potenz erfolgt dies in verschiedenen Verdünnungsverhältnissen:

  • D-Potenzen im Verhältnis 1:10

  • C-Potenzen im Verhältnis 1:100

  • Q- oder LM-Potenzen sogar im Verhältnis 1:50.000

Bei einer D6-Potenz ist der ursprüngliche Wirkstoff bereits im Verhältnis 1:1.000.000 verdünnt. Eine C6-Potenz entspricht sogar einer Verdünnung von 1:1.000.000.000.000. Ab einer C12-Potenz ist rechnerisch kein einziges Molekül des Ausgangsstoffes mehr nachweisbar – eine pharmakologische Wirkung ist damit ausgeschlossen.

Doch Homöopathen vertreten die Ansicht, dass das Präparat mit zunehmender Verdünnung sogar stärker wirke. Dies begründen sie damit, dass durch das „Schütteln“ bei der Potenzierung eine „Information“ des Wirkstoffs auf das Wasser übertragen werde.

Nicht nur die Homöopathie, sondern auch anthroposophische Medizin und Bach-Blüten-Therapie nutzen dieses Prinzip. Letztere geht auf den englischen Arzt Edward Bach (ausgesprochen „Bätsch“) zurück. Mit einem plätschernden Bach haben die Bachblüten also nichts zu tun.

Bei der Bach-Blüten-Therapie werden Blüten in eine mit Wasser gefüllte Schale gelegt, die entweder der Sonne ausgesetzt oder gekocht werden. Dabei sollen die „heilenden Energien“ der Blüten auf das Wasser übergehen. Die entstehende Essenz wird anschließend mit Alkohol konserviert und im Verhältnis 1:240 verdünnt. Eine 20-ml-Flasche dieser Essenz kostet etwa 10 Euro – hochgerechnet entspricht das 500 Euro pro Liter für eine Substanz, die nahezu ausschließlich aus Wasser und Alkohol besteht. Kein schlechtes Geschäft.

Man merkt, mit wissenschaftlicher Logik haben all diese Verfahren wenig zu tun. Sie gehören deshalb ins Reich der Esoterik. Doch nicht nur das Wirkprinzip der Homöopathie und anderer alternativer Heilmethoden ist unplausibel – methodisch hochwertige Studien kommen zu einem eindeutigen Ergebnis: Homöopathische Mittel sind vollkommen wirkungslos.

Und trotzdem berichten seit über 200 Jahren unzählige Menschen, dass homöopathische Präparate bei ihnen, ihren Kindern oder sogar ihren Haustieren geholfen hätten. Sind diese Menschen also Schwindler oder Opfer von Einbildung? Nein, keineswegs. Die positiven Effekte sind real – sie lassen sich jedoch durch den Placeboeffekt erklären.

Dieser ist keinesfalls bloße Einbildung, sondern eine messbare physiologische Reaktion. Die Erwartung einer Besserung führt dazu, dass der Körper Endorphine, Opioide und Cannabinoide ausschüttet, die tatsächlich Schmerzen lindern und Symptome mildern.

Homöopathen bestreiten jedoch oft, dass ihre Präparate nur über den Placeboeffekt wirken. Sie argumentieren, dass Studien die Wirksamkeit der Homöopathie über Placebos hinaus belegen würden. Tatsächlich kann es aber vorkommen, dass in Studien selbst zwei verschiedene Placebos unterschiedlich abschneiden – das ist jedoch kein Beweis für eine echte Wirkung, sondern schlicht statistischer Zufall.

Ein weiteres Argument von Homöopathen ist die sogenannte „Erstverschlimmerung“, also eine Verschlechterung der Symptome nach Einnahme eines homöopathischen Mittels. Dies wird als Zeichen dafür interpretiert, dass das Medikament wirkt. Tatsächlich entspricht dieses Phänomen jedoch meist dem natürlichen Krankheitsverlauf: Symptome verschlechtern sich oft zunächst, bevor die Genesung einsetzt – unabhängig von der Einnahme eines Präparats.

All diese Zusammenhänge wurden in zahllosen methodisch hochwertigen Studien belegt. Doch egal, wie erdrückend die Beweise gegen die Homöopathie auch sind – ihre Anhänger bleiben überzeugt. Kein Wunder: Mit alternativen Heilmethoden lässt sich gutes Geld verdienen. Und so wird immer wieder das Argument bemüht, die Pharmalobby wolle mit „Chemiebomben“ die sanften, natürlichen Heilmethoden verdrängen. Letztlich bleibt die Homöopathie, was sie schon immer war: Ein Glaubenssystem – ohne wissenschaftliche Grundlage, aber mit einem sehr lukrativen Geschäftsmodell.

 

Das Zulassungsverfahren: strenge Kontrolle vs. Sonderbehandlung

Nun haben die Alternativmediziner sicherlich einen Punkt, wenn sie von Nebenwirkungen bei schulmedizinischen Verfahren sprechen. Jeder, der schon einmal einen Medikamentenbeipackzettel gelesen hat, weiß, wovon ich spreche. Bei manchen Arzneimitteln könnte leicht der Eindruck entstehen, dass durch deren Einnahme der unmittelbare Tod bevorstehen könnte. Deshalb gilt der bekannte Leitsatz des pharmakologischen Urgesteins Gustav Kuschinsky: „Wenn behauptet wird, dass eine Substanz keine Nebenwirkung zeigt, so besteht der dringende Verdacht, dass sie auch keine Hauptwirkung hat.“

Nebenwirkungen sind jedoch stark von der verabreichten Medikamentendosis abhängig. Um unerwünschte Komplikationen möglichst gering zu halten, werden Arzneimittel im Rahmen des Zulassungsprozesses sorgfältig geprüft, um sichere Dosierungen zu bestimmen. Seit der Arzneimittelreform von 1976 sind Arzneimittelhersteller verpflichtet, Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ihrer Produkte nachzuweisen. Dies geschieht in einem strengen Zulassungsverfahren, das – je nach Arzneimittel – Jahre in Anspruch nehmen kann. Zahlreiche nicht-kommerzielle Institutionen begleiten und kontrollieren diesen Prozess, darunter die Europäische Arzneimittelagentur (EMA), das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), das Paul-Ehrlich-Institut bei Impfstoffen sowie diverse Ethikkommissionen.

Die Pharmahersteller gehen dabei hohe Risiken ein, da sie oft Investitionen im dreistelligen Millionenbereich tätigen müssen. Die allermeisten Arzneimittel schaffen dennoch keine Marktzulassung, weil sie sich in einer der Studienphasen als nicht unbedenklich oder nicht wirksam erweisen. Selbst nach der Markteinführung können Arzneimittel ihre Zulassung wieder verlieren, wenn sie sich in der breiten Anwendung als riskant erweisen.

Ein Sonderrecht gilt für die sogenannten „besonderen Therapierichtungen“. Dazu zählen die eingangs beschriebene Homöopathie und Anthroposophie sowie die Phytotherapie (Pflanzenheilkunde). Diesen Sonderstatus haben sie aufgrund ihrer besonders guten Lobbyarbeit inne. Einen Wirksamkeitsbeleg bleiben die Hersteller dieser Produkte bis heute schuldig – doch aufgrund ihrer besonderen Behandlung im Arzneimittelgesetz ist das gar kein Problem. Den Wirksamkeitsbeleg lässt man einfach unter den Tisch fallen; es muss lediglich die Unbedenklichkeit der Produkte sichergestellt werden. Bei nicht nachgewiesener Wirkung genügt eine Registrierung, um die Produkte in den Verkehr zu bringen. Mit einer speziellen Indikation (Anwendungsgebiet, d. h. wogegen etwas eingesetzt wird) darf allerdings nicht geworben werden.

Es gibt jedoch auch homöopathische Medikamente, die tatsächlich als Arzneimittel zugelassen sind. Wie kann das trotz fehlendem Wirksamkeitsbeleg möglich sein? Aufgrund einer völlig absurden Regelung erhalten auch einige Homöopathika eine Zulassung – Meditonsin ist so ein Fall. Als Wirksamkeits-„Beleg“ müssen die Hersteller sogenanntes Erkenntnismaterial vorlegen, das auf einem Punktesystem basiert. Einen Punkt könnte man bereits erzielen, wenn ein Homöopath ein „Expertenurteil“ abgibt, wonach das Mittel wirksam sei. Wie unabhängig das Ganze sein kann, soll jeder selbst beurteilen. Bereits ab zwei Punkten darf das Medikament gegen leichte Erkrankungen wie Husten oder Schnupfen eingesetzt werden, während eine direkte Behandlung von schweren und lebensbedrohlichen Krankheiten erst ab frühestens acht Punkten erfolgen darf (Himmel, Herr Gott sei Dank!). Dafür benötigt es aber gut durchgeführte Studien, die einen einwandfreien Wirksamkeitsnachweis erbringen – diese existieren, wie beschrieben, aber nicht. Zumeist gibt es noch nicht einmal einen plausiblen Wirkmechanismus, der auf biochemischen Prinzipien beruht.

Bevor ein Arzneimittel am Menschen überprüft werden kann, muss zunächst ein solcher Wirknachweis vorliegen, der anschließend in Labor- und Tierstudien bestätigt wird – andernfalls wird keine Zulassung für klinische Studien erteilt. Dadurch gibt es für Arzneimittelkonzerne natürlich keinen besonderen finanziellen Anreiz, viel Geld in die Forschung an wirkungslosen Substanzen zu investieren. Wo Konzerne keine entsprechende Rendite erwarten können, investieren sie logischerweise nicht. Deshalb forschen auch Universitäten und andere nicht-kommerzielle Einrichtungen an Präparaten, für die industriefinanzierte Forschung fehlt. Wird beispielsweise an einer universitären Einrichtung ein neuer potenzieller Wirkkandidat gefunden, wird das Interesse kommerzieller Pharmaunternehmen geweckt – daraus ergeben sich Synergieeffekte zwischen kommerzieller und nicht-kommerzieller Forschung, das Beste aus zwei Welten, sozusagen.

Beliebte Argumente, wie etwa, dass ein Wirknachweis für Homöopathika allein wegen fehlender Forschungsgelder fehle oder dass Medikamente von der Pharmalobby unter Verschluss gehalten würden, weil sich mit Kranken mehr Geld verdienen ließe, lassen sich damit leicht entkräften. Damit will ich die Pharmaindustrie nicht heiligreden, da monetäre Interessen einer optimalen Gesundheitsversorgung entgegenstehen können. Doch seit der Arzneimittelreform sorgen zahlreiche unabhängige Prüfbehörden, die im Rahmen des Arzneimittelgesetzes sowie entsprechender Verordnungen und Richtlinien agieren, für die Verbrauchersicherheit.

Zudem wurden viele bekannte Pharmaskandale aufgedeckt, darunter der Contergan-Skandal der Firma Grünenthal, bei dem der Wirkstoff Thalidomid – ursprünglich als Schlafmittel und Mittel gegen Schwangerschaftsübelkeit vermarktet – schwere Missbildungen bei Föten auslöste, sowie die aggressive Vermarktung des Schmerzmittels OxyContin durch den Pharmahersteller Purdue Pharma, die eine der schlimmsten Opioidkrisen in den USA auslöste und zu zahlreichen Drogenabhängigen und Todesfällen führte.


Wir halten fest:

  • Alternativmedizinische Medikamente und Behandlungstherapien werden neben Arzneimitteln oft zur Vorbeugung und Therapie diverser Krankheiten eingesetzt.

  • Viele dieser Therapieverfahren beruhen auf Prinzipien, die aus naturwissenschaftlicher Sicht unplausibel sind. Zudem haben sie keine pharmakologische Wirkung, die über den Placeboeffekt hinausgeht.

  • Arzneimittel werden vor und nach ihrer Zulassung durch das Arzneimittelgesetz sowie von verschiedenen nationalen und internationalen behördlichen Institutionen streng kontrolliert. Dafür müssen die Hersteller sowohl Unbedenklichkeit und Sicherheit gewährleisten, als auch Belege für deren Wirkung nachweisen.

  • Im Gegensatz zu pharmakologischen Arzneimitteln müssen die Hersteller von Alternativmedizin keine Bestätigung der Wirkung nachweisen. Sie müssen lediglich die Sicherheit und Unbedenklichkeit ihrer Medikamente garantieren.

  • Die Homöopathie, die Anthroposophie sowie die Phytotherapie zählen zu den besonderen Therapierichtungen. Dieser Sonderstatus im Arzneimittelgesetz erlaubt es den Herstellerfirmen ihre Medikamente auch ohne Zulassung in den Verkehr zu bringen, wenn kein Wirkbeleg vorgelegt werden kann. Eine Zulassung als Arzneimittel können durch ein Punktesystem erlangt werden. Lediglich schwere und lebensbedrohliche Krankheiten dürfen sie nicht behandeln.

  • Trotz gravierenden Logikmängeln und einer erdrückenden wissenschaftlichen Beweislage werden diese Fakten von den Anhängern alternativer Behandlungstherapien bestritten. Dabei berufen sie sich überwiegend auf positive Erfahrungsberichte und eine systematische Unterdrückung durch Behörden und Pharmafirmen.

 

Alternativmedizin: sanfte Therapie ohne Nebenwirkungen?

Einen vermeintlichen Widerspruch im wissenschaftlichen Konsens sehen Befürworter der Alternativmedizin darin, dass viele alternative Behandlungsmethoden, wie Akupunktur oder Osteopathie, von den Krankenkassen ganz oder teilweise bezahlt werden. Da Krankenkassen nur nachgewiesen wirksame Behandlungen und Medikamente erstatten dürfen, scheint für sie damit der Wirknachweis erbracht. Dieses Argument passt perfekt in die Erzählung, dass die Pharmalobby die Alternativmedizin bewusst sabotieren möchte, um einen starken Konkurrenten auf dem Arzneimittelmarkt auszuschalten. Aber auch hier irren sie.

Krankenkassen dürfen durchaus auch Therapien anbieten, deren Wirksamkeit nicht abschließend nachgewiesen ist. Solche Leistungen fallen unter die sogenannten Satzungsleistungen, durch die sie sich im Wettbewerb mit anderen Kassen einen Vorteil verschaffen können. Dank dieser Regelung können sie ihren Kunden alternative Verfahren ganz oder teilweise erstatten, um neue Mitglieder zu gewinnen – eine Praxis, die man durchaus scharf kritisieren kann und meiner Meinung nach auch sollte. Denn wenn es um Gesundheit geht, sollten monetäre Interessen eine untergeordnete Rolle spielen. Ich finde, hier bedarf es einer dringenden Änderung der geltenden Rechtslage.

Doch selbst wenn man den wissenschaftlichen Forschungsstand akzeptiert, wonach die meisten alternativmedizinischen Verfahren ausschließlich auf den Placeboeffekt zurückzuführen sind, könnte man versucht sein, ein weiteres Schlupfloch zu nutzen. Man könnte argumentieren, dass selbst wenn komplementärmedizinische Medikamente keine pharmakologische Wirkung haben, sie dennoch durch ihre nebenwirkungsfreie, sanfte Therapie überzeugen können. Auch diesen Irrglauben oder die bewusste Manipulation der Herstellerfirmen und Heilkundler möchte ich im Folgenden klarstellen.

Vorweg: Viele homöopathische Arzneimittel sind aufgrund der starken Verdünnung völlig unbedenklich. Zudem spielt es ja prinzipiell keine Rolle, wodurch die Beschwerdelinderung eintritt, solange sie eintritt. Das erscheint zunächst einleuchtend – bei leichten Beschwerden wie Übelkeit oder Kopfschmerzen mag das durchaus zutreffen. Wenn es auch ohne tatsächlichen Wirkstoff funktioniert, wieso dann darauf verzichten? Anders sieht es jedoch bei stärkeren Beschwerdebildern aus, beispielsweise bei intensiven, nicht nachlassenden Schmerzen nach einer Operation. Hier kann die Vermeidung von Schmerzmitteln ein sogenanntes Schmerzgedächtnis begünstigen. Darunter versteht man eine dauerhafte Veränderung im zentralen Nervensystem, die zu einer erhöhten Empfindlichkeit gegenüber Schmerzreizen führt. Anhaltende, wiederkehrende oder intensive Schmerzen können infolge eines negativen Lernprozesses in eine stark erhöhte Schmerzempfindlichkeit oder in chronische Schmerzen münden. Die Löschung eines solchen Schmerzgedächtnisses ist eine große Herausforderung – idealerweise lässt man es gar nicht erst entstehen.

Noch gefährlicher wird es, wenn sich ein Weltbild manifestiert, das stark von alternativmedizinischen und esoterischen Theorien geprägt ist. In extremen Fällen werden das Gesundheitssystem, Pharmafirmen und Ärzte gar verachtet oder als Feinde betrachtet. Um dieses Feindbild herum wird dann eine Verschwörungserzählung konstruiert, in der „dunkle Mächte“ wirkungsvolle Arzneimittel unter Verschluss halten und Menschen gezielt krank machen wollen, um daraus Profit zu schlagen. Die Alternativmedizin wird von diesen „Eliten“ bewusst unterdrückt und klein gehalten.

Bei kleineren Wehwehchen mag das – abgesehen von einem sehr negativen Menschenbild – weniger gravierend sein. Richtig gefährlich wird es jedoch, wenn bei ernsthaften Erkrankungen wirksame Therapien abgelehnt werden. Im Falle einer Krebserkrankung kann dies im schlimmsten Fall tödlich enden, obwohl bewährte Therapieverfahren eine reelle Hoffnung bieten würden. Statt notwendiger Operationen, Chemotherapien, Immuntherapien und anderer Behandlungsmethoden soll die Heilung allein durch Pflanzenheilkunde, Vitamine und Mineralstoffe oder uralte medizinische Verfahren wie die traditionelle Chinesische Medizin oder Ayurveda erfolgen.

Eine Beobachtungsstudie aus dem Jahr 2018 untersuchte, inwiefern sich komplementär- und alternativmedizinische Therapien auf den Behandlungserfolg und die Überlebensrate von Patienten mit nicht-metastasierenden Krebserkrankungen (Primärtumoren ohne Tochtergeschwülste) auswirkten [12]. Die Ergebnisse zeigten, dass Patienten, die mindestens ein alternativmedizinisches Behandlungsverfahren anwendeten, die konventionelle Krebstherapie häufiger verzögerten oder ablehnten und ein höheres Sterberisiko hatten. Dabei ist nicht die Anwendung der alternativen Behandlungsmethoden per se schädlich, sondern das Ausbleiben oder die Verzögerung der Standardtherapie. Trotz einiger Einschränkungen der Untersuchung sind die Ergebnisse aussagekräftig und ein Indiz für die Gefahr, die von der Skepsis gegenüber der evidenzbasierten Medizin ausgeht.

Ein prominentes Beispiel ist der ehemalige Apple-Chef Steve Jobs, der an einer seltenen Form von Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankte. Statt sich rasch einer überlebensnotwendigen Operation zu unterziehen, verzögerte er diese monatelang und entschied sich stattdessen für eine spezielle Diät und alternative Behandlungsmethoden. In dieser Zeit hatte der Krebs bereits gestreut – eine frühzeitige Operation hätte ihm zumindest eine weitere Perspektive eröffnen können.

Eine stark ablehnende Haltung gegenüber der Schulmedizin, wie sie in alternativmedizinischen Kreisen nicht selten zu beobachten ist, kann also indirekte Schäden verursachen, indem sie wirksame Therapien vermeidet. Aber nicht nur mittelbar besteht ein Risiko, auch direkte Schäden kommen häufiger vor, als man meinen mag. Im Jahr 2016 kamen drei Patienten durch eine Überdosis mit dem experimentellen Wirkstoff 3‑Bromopyruvat ums Leben, den ihnen ihr Heilpraktiker verabreichte. Zwar könnte man argumentieren, dass es sich um einen tragischen Einzelfall handelt, doch unterstreicht er den Dilettantismus, der aus der fehlenden medizinischen Ausbildung im Heilpraktikerberuf resultiert. Auch vermeintlich harmlose Therapien, wie die Einnahme von hochdosiertem Vitamin C, können potenziell tödlich enden, da sie beispielsweise die Wirkung von Krebsmedikamenten abschwächen oder neutralisieren können.

Pflanzliche Arzneimittel der Phytotherapie enthalten – im Gegensatz zu manchen anderen Therapien – häufig ein Wirkstoffgemisch, das sich durch ein Lösungsmittel wie Wasser oder Alkohol extrahieren lässt. Beispielsweise ist die stimmungsaufhellende Wirkung von Johanniskrautextrakt vergleichbar mit der Wirkung von Antidepressiva, da beide die Wiederaufnahme von Neurotransmittern hemmen. Doch genauso wie Arzneimittel, die meist nur einen Wirkstoff enthalten, können auch diese Präparate Nebenwirkungen haben und mit anderen Medikamenten wechselwirken. Johanniskraut kann etwa die Wirkung der Antibabypille abschwächen und so zu unvorhergesehenen Überraschungen führen. Zudem können pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel wie Schlafbeere, Baikal-Kraut, Grünteeextrakt, Kratom oder Kurkuma in bestimmten Fällen die Leber schädigen – von sanfter Therapie kann hier kaum mehr die Rede sein.

Besonders tragisch sind die dokumentierten Todesfälle, die letztlich oft auf ein verqueres Weltbild zurückzuführen sind. Eine bessere gesundheitliche Aufklärung – ohne aggressive Vermarktung der Alternativmedizin durch ihre Befürworter, darunter Heilpraktiker, Gesundheits-Influencer, aber auch approbierte Ärzte und Krankenkassen – hätte vielen Menschen einen qualvollen Leidensweg erspart.

Das Problem wird noch gravierender, wenn sich der Schaden nicht nur auf die eigene Person beschränkt, sondern auch andere Menschen mit einbezieht. Vor allem Kinder, die unsere größte Schutzbedürftigkeit genießen sollten, können zu Leidtragenden werden. Sie können früh durch Globuli gegen jedes noch so kleine Wehwehchen an solche Produkte gebunden werden, bis ins Erwachsenenalter. Im schlimmsten Fall führt die Alternativmedizin zum Tod des Kindes, weil es – wie auch erwachsene Patienten – keine oder zu spät eine wirksame Therapie erhält, obwohl diese das Leben hätte retten können. Das Perfide daran ist, dass ideologiegetriebene Eltern den Tod ihres eigenen, wehrlosen Kindes zu verantworten haben, das noch ein langes Leben hätte führen können.

Einige Fälle erlangten mediale Bekanntheit: In Italien starb im Jahr 2017 ein siebenjähriger Junge an den Folgen einer unbehandelten Mittelohrentzündung, weil seine Eltern ihn ausschließlich homöopathisch behandelten. Als der Junge schließlich das Bewusstsein verlor und ins Krankenhaus gebracht wurde, war es bereits zu spät – die Erkrankung hatte sich zu einer tödlichen Gehirnentzündung entwickelt. In Kanada kam ein 19 Monate alter Säugling zu Tode, weil seine Eltern einem lebensrettenden Arztbesuch widersprachen und ihn stattdessen mit Smoothies und Olivenölextrakt behandelten. Erst als die Atmung des Kindes aussetzte, brachten sie es ins Krankenhaus, wo eine Hirnhautentzündung diagnostiziert wurde – eine Krankheit, die mit einem Antibiotikum gut behandelbar gewesen wäre. Eine Schutzimpfung hätte den Krankheitsausbruch womöglich gar verhindern können, doch auch diese wurde dem Kind verweigert, weil die Eltern Impfungen und der Medizin im Allgemeinen misstrauten.

Die Liste solcher Fälle ließe sich endlos fortführen.

 

Fazit:

Viele alternativmedizinische Verfahren haben keinen nachgewiesenen Nutzen – geschweige denn einen logischen, auf naturwissenschaftlichen Prinzipien beruhenden Wirkmechanismus. Sie fallen somit in das Reich der Pseudomedizin und haben mit evidenzbasierter Medizin nichts zu tun. Dennoch werden sie in bestimmten Kreisen als echte Alternative zur gängigen evidenzbasierten Medizin angepriesen – letztere wird von ihren Kritikern abwertend als „Schulmedizin“ bezeichnet. Da jede medizinische Behandlung eine wissenschaftliche Fundierung benötigt, kann es auch keine Alternative zur „Schulmedizin“ geben. Entweder etwas wirkt – dann ist es Medizin –, oder es wirkt (erwiesenermaßen oder mangels Belege) nicht – dann ist es auch keine Medizin.

Aus gutem Grund sind die Hürden für Arzneimittel und Therapiemethoden beträchtlich. Die meisten vielversprechenden Präparate schaffen es daher niemals durch den Zulassungsprozess. Dennoch basieren sie auf naturwissenschaftlichen Überlegungen sowie Labor- und Tierstudien und haben eine ernsthafte Forschungsgrundlage erarbeitet – was man von Homöopathika und Co. nicht behaupten kann.

Durch bewusste Manipulation und das Streuen von Fehlinformationen – sei es durch Heilpraktikerverbände, Herstellerfirmen oder Gesundheits-Influencer – tragen sie zur Medizinskepsis und zu Verschwörungstheorien bei. Im besten Fall schiebt man den Firmen unnötig Geld in den Rachen, im schlimmsten Fall kann ein Weltbild, das vom Glauben an eine Verschwörung von Eliten, Politikern und bösen Pharmafirmen geprägt ist, den Tod von Menschen und Angehörigen begünstigen, wenn bei Krankheit wichtige medizinische Behandlungen verzögert oder abgelehnt werden.

Doch auch öffentliche Institutionen tragen ihren Teil dazu bei, indem sie der Homöopathie, der Anthroposophie und der Phytotherapie einen Sonderstatus im Arzneimittelrecht gewähren. Krankenkassen sollten meines Erachtens Therapien und Medikamente nicht mehr erstatten, solange sie keinen nachgewiesenen medizinischen Nutzen erbracht haben. Wenn es die Herstellerfirmen der Alternativmedizin ernst meinen, dann sollen sie gefälligst wie jeder andere Pharmahersteller evidenzbasierter Medizin behandelt werden.

Heilpraktiker und Co. sollten eine erweiterte medizinische Grundausbildung durchlaufen und verpflichtet werden, transparent auf die Grenzen komplementärer Behandlungsmethoden hinzuweisen. Dann könnten sie weiterhin ihre Nische als Ergänzung zu wirksamen Therapien und Arzneimitteln einnehmen, ohne dass Menschen zu Schaden kommen würden. Durch diese Schritte wird zwar weder die Alternativmedizin gänzlich vom Markt verschwinden, noch der Verschwörungsglaube in der Bevölkerung ausradiert – es wäre aber zumindest ein erster Anfang, diesem Wahnsinn Einhalt zu gebieten.


Quellen:

1. Apotheken-Umschau (o. D.). Alternativmedizin für Kinder – Sinnvoll oder gefährlich?

2. Ärzteblatt (o. D.). Blindes Vertrauen auf Alternativmedizin kann tödlich sein.

3. Ärzteblatt (o. D.). Homöopathie – Tod eines Kindes erschüttert Italien.

4. Ärzteblatt (o. D.). Schmerzgedächtnis – Entstehung, Vermeidung und Löschung.

5.  Ärzteblatt (o. D.). Tod nach Alternativmedizin.

6. Ärzteblatt (o. D.). Tod von drei Krebspatienten – Anklage gegen Heilpraktiker erhoben.

7. Ärztezeitung (o. D.). Tödliche Alternative – Alternativmedizin.

8. Barmer Krankenkasse (o. D.). Das Schmerzgedächtnis – was es bedeutet und wie man es beeinflussen kann.

9. Bundesgesundheitsministerium (o. D.). Leistungskatalog der Krankenkassen.

10. Correctiv (2017). Es ist nicht gut, Kinder mit Hilfe von Globuli an Pillen zu gewöhnen.

11. DocCheck Flexikon (o. D.). Schmerzgedächtnis.

12. Goldstein, A., & Smith, B. (2018). Alternative medicine use and cancer survival. JAMA Oncology, 4(10), 1375-1381.

13. Johnson, S. B., Park, H. S., Gross, C. P., & Yu, J. B. (2018). Complementary medicine, refusal of conventional cancer therapy, and survival among patients with curable cancers. JAMA Oncology, 4(10), 1375-1381.

14. Krebsinformationsdienst (o. D.). Komplementäre und alternative Krebstherapien.

15. Krebsinformationsdienst (o. D.). Zielgerichtete Krebstherapie.

16. Krebsinformationsdienst (o. D.). Krebstherapien – Überblick über Behandlungsmöglichkeiten.

17. Müller, T. (2022). The role of placebo effects in alternative medicine. Synthese, 200(6), 1214-1230.

18 .Pharmazeutische Zeitung (2014). Echtes Johanniskraut – Hochinteressant, aber schwierig.

19. Spiegel (o. D.). Alternativmedizin bei Krebs – Warum vermeintliche Alternativen tödlich enden können.

20. Spektrum (o. D.). Denkfehler der Homöopathie.

21. Spiegel (o. D.). Steve Jobs – Tod eines Weltverbesserers.

22. Spiegel (o. D.). Kampf gegen die Krankheit – Jobs bereute alternative Krebstherapie.

23. Süddeutsche Zeitung (o. D.). Krebstherapien – Gift vom Heilmeister.

24. Süddeutsche Zeitung (o. D.). Naturheilkunde – Glauben mit Nebenwirkungen.

25. Techniker Krankenkasse (o. D.). Phytotherapie – Die Kraft der Pflanzen.

26. Verbraucherzentrale (o. D.). Was ist Alternativmedizin und welche Risiken birgt sie?

27. Verbraucherzentrale (o. D.). Was erstattet die Krankenkasse?

28. Verbraucherzentrale (2023). Positionspapier zu Nahrungsergänzungsmitteln.

29. Verbraucherzentrale (o. D.). Gesunde Ernährung – Fragwürdige Alternativen aus der Fabrik.

30. VFP (o. D.). Steve Jobs' Schicksal aus naturheilkundlicher Sicht.

31. Zeit Online (2017). Homöopathie – FDA-Warnung zu Todesfällen in den USA.

 
 
 
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